Am 1. April 2022 erlebte das dokumentarische Theaterstück „Wir sind wach, hellwach…“ seine Uraufführung am Gymnasium „Alexander von Humboldt“ in Werdau. Anlass war die feierliche Einweihung des Verbindungsbaus zwischen Schulgebäude und Turnhalle. Dort entstand eine neue Aula, die in Zukunft genügend Platz für Kunst und Kultur bieten wird. So nutzte die Theater-AG der Schule die Möglichkeit, ihr neues Theaterstück vor großem Publikum aufzuführen. Das Stück wurde vom künstlerischen Profil und der schuleigenen Theater-AG in Kooperation mit dem „Mondstaubtheater Zwickau“ entwickelt. Grundlage bildete der „Werdauer Oberschülerprozess“ 1951. Schüler*innen des Geschichtsleistungskurses trugen Material zusammen, welches in originalen Akten, Fotos und Briefen im Martin-Luther-King-Zentrum der Stadt aufbewahrt wird.
Die Autorinnen, Frau Bohne, Leiterin der Theater-AG und Lehrerin am Gymnasium und Frau Bocek, Tanzpädagogin und Mitglied des Mondstaubtheaters Zwickau, führten Regie. Für die Arbeiten hinter den Kulissen war die achtköpfige Bühnencrew, unter der Leitung von Mara Braungard, zuständig. Sie fertigten Plakate, walzten Flugblätter nach historischem Vorbild und entwarfen die Texte. Licht- und Tontechnik sowie Kostüme und Kulissenteile stammten vom Mondstaubtheater und dem Theater Plauen Zwickau.
Die Idee zum Theaterstück kam Frau Bohne, als sie eine Gedenktafel entdeckte, die auf das schlimme Unrecht hinweist. Die Tafel hängt, seit 1997 im Werdauer Gymnasium und erinnert an die 19 Jugendlichen der Stadt, die am 3. Oktober 1951 zu insgesamt 130 Jahren Zuchthaus verurteilt wurden, weil sie den Mut hatten, gegen das damalige politische Regime laut zu protestieren. Sie prangerten die Volkskammerwahl 1950 an, die nicht fair ablief, weil man nicht zwischen verschiedenen Parteien wählen konnte. Die Schüler*innen gründeten eine Widerstandsgruppe ähnlich der „Weißen Rose“ der Geschwister Scholl im 2. Weltkrieg. Sie druckten Flugblätter, riefen zum Widerstand gegen die SED-Diktatur auf und legten Stinkbomben bei Veranstaltungen der SED. Im Mai 1951 wurden die Aufständigen dann durch die Volkspolizei verhaftet. Ihnen wurde am Landgericht Zwickau der Prozess gemacht.
Der Titel des Stückes bezieht sich auf die Aussage von Achim Beyer. Er war einer der verurteilten Schüler und wurde als letzter 1956 aus der Haft entlassen. Er verfasste viele Jahre später eine wissenschaftliche Recherchearbeit zu den Geschehnissen. Sein Text begann mit den Worten: „Wir waren politisch wach, hellwach“!
In dem Bühnenwerk stellten 12 Schüler*innen insgesamt sechs Szenenbilder der genannten Zeit nach. Dabei schlüpften einige in mehrere Rollen des Stückes. Hauptcharaktere waren Joachim Gäbler, gespielt von Tamara Päßler und Sigrid Gabriele Roth, gespielt von Luisa Kux.
Zu Beginn erlebte das Publikum spielende, unbekümmerte Kinder, die dann grausamen und verstörenden Bombenangriffen ausgesetzt waren. Nach schlimmer Kriegszeit wuchs bei den Menschen die Zuversicht auf bessere Zeiten. Es entstand eine neue Gesellschaft, die eigentlich eine Bessere sein sollte, als die vorherige. Doch es lief nicht alles so, wie es sich manche Menschen erhofft hatten. Aus einer geplanten Demokratie wurde schlussendlich wieder eine Diktatur, in der die freie Meinungsäußerung nicht gewünscht war. Mit der Werdauer Flugblattaktion zeigten die jungen Schauspieler*innen, dass es damals Menschen gab, die mit der Entwicklung der neuen Gesellschaft nicht einverstanden waren. Sie rebellierten. Schließlich kam es auf dem Schulhof zu deren Verhaftung und später zur Gerichtsverhandlung und zur Verurteilung der Jugendlichen.
Von Anfang an herrschte Gänsehaut-Feeling im Publikum. Sensible Themen wie „Was ist Kindheit?“, „Als Jugendlicher im Krieg“ und „Freie Meinungsäußerung mit dessen Folgen“ wurden effektvoll dargeboten. Das erzeugten unter anderem die fröhliche bis dramatische Musikuntermalung, die abwechslungsreiche Beleuchtung und eine überwältigende Geräuschkulisse, die dem Publikum ein 360° Audio-Erlebnis bot. So schlugen die Darsteller*innen von außen an die Türen und schrien laut. Das sollte die Wut und Ohnmacht der Eltern und Angehörigen widerspiegeln, die damals nicht am Prozess ihrer Kinder teilnehmen durften. In einer anderen Szene wurde ein Anschlag durch einen lauten Knall improvisiert und versetzte alle Anwesenden in Schrecken.
Dann mischten sich die Akteure fast lautlos und im dunklen Saal in die Reihen des Publikums und begannen schrill zu schreien. So simulierten sie die damals unzufriedenen Menschen. Die Zuschauer wurden mit dieser Technik mitten in die Geschichte katapultiert und waren nicht nur „Zaungäste“. Hanna Modes, unterwegs als Irma, spielte auf der Gitarre und sang.
Auch die Kulisse hatte es in sich: Man arbeitete mit wenigen, einfachen Softbausteinen in Holzoptik und baute mit ihnen verschiedene Bühnenbilder zusammen, wie eine Wippe zu Beginn des Stückes und einem zerstörten Haus mit Schutzkeller während des Kriegsgeschehens.
Imponierend stellten die Schauspiel-Debütant*innen den schrillen Übergang von einer unbeschwerten Kindheit zum grausamen Krieg und der daraus resultierenden neuen Gesellschaftsordnung, der DDR, dar. Besonders beachtlich war, dass die Darsteller*innen auf der Bühne so überzeugend gespielt haben, als hätten sie damals selbst gelebt. Auch die Kostüme waren sehr gut gewählt und spiegelten die damalige Mode wider. Vom Kostüm eines DDR-Volkspolizisten in Olivgrün über schwarze Richterroben bis hin zu alten Kleidern in den verschiedensten Brauntönen war alles vorhanden.
Alles in einem war dieses Stück ein extrem gelungenes Meisterwerk. Die Zuschauer wurden emotional mitgerissen und manche hatten Tränen in den Augen. Ein Besuch ist mehr als empfehlenswert.
Ich habe einige der junge Akteur*innen befragt, was sie über das Stück denken. Als sie zuerst davon hörten, meinten sie, dass sie Angst hatten, vor so vielen Menschen zu schauspielern, sich jedoch auch auf das Projekt gefreut haben und die Idee sehr spannend fanden, auch wenn, laut allen befragten Schüler*innen, die Produktion teilweise sehr chaotisch ablief, was aber „im Theater normal“ sei. Sie alle haben sich ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt und kennen sich nun mit diesem Teil der DDR-Geschichte ihres Heimatortes in den Jahren rund um 1950 super aus.
Ein Interview mit der Darstellerin Luisa Kux, als Sigrid Gabriele Roth und Leonie, als Elises Freundin und Volkspolizist:
„Wie war die Zusammenarbeit mit den Schauspieler*innen und den Lehrerinnen?“
Luisa: „Die Schauspieler hatten eine sehr gute, lustige, engagierte und zielorientierte Einstellung. Das Klima zwischen den Schauspieler*innen war sehr frisch und alle haben sich gut verstanden.“
Leonie: „Mit den anderen Protagonisten war das Zusammenarbeiten spaßig. Viele Gespräche wurden geführt und man konnte in der Gruppe zusammen wachsen.“
„Konntet ihr euch gut in die Rolle hineinversetzen?“
Luisa: „Ja, sehr gut. Ich musste mich zwar zuerst mit der Explosivität und Aggressivität meiner Rolle zurechtfinden, aber dann hat alles sehr gut geklappt. Auch die zusätzliche Rolle als Trümmerfrau war für mich kein Problem.“
Leonie: Ja, das konnte ich persönlich sehr gut, da ich Spaß daran hatte und ihren Hintergrund und die Zusammenhänge verstanden habe. Auch die unterschiedlichen Rollen, die ich spiele, also einmal einen Polizisten, eine Trümmerfrau und eine gute Freundin, waren eine super Abwechslung.
Spannend ist auch, dass alle Ereignisse, die von damals und das Schauspiel von heute in Werdau, am gleichen Ort stattfanden. Dass Werdauer Schüler*innen nach 71 Jahren in die Rollen der damals Gleichaltrigen schlüpften, um die Geschichte nachzuspielen. Ich habe mich gefragt: „Was würde wohl das alt-ehrwürdige Schulgemäuer noch über dieses Geschehnis berichten können?“
Mein Fazit – Dieses Theaterstück war eine Glanzleistung meiner Mitschüler*innen und deren Verantwortlichen. Die Aufführung wird am 24. Juni 2022 noch einmal in unserer Aula aufgeführt, und ich empfehle jedem, der noch nicht dabei war, sich eine Karte zu besorgen. Ihr werdet es auf gar keinen Fall bereuen.
Vielen Dank an alle!!!
Clara
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